8. Mai: ein Tag des Gedenkens – auch in Eichwalde

Von Hans Wegener und Anton Goldner

Dort wo die jüdische Sängerin und Tänzerin Lin Jaldati lebte, gedachten Eichwalder dem Ende des Weltkrieges und der Gewaltherrschaft der Nazi-Diktatur. (Foto Hans Wegener)
Dort wo die jüdische Sängerin und Tänzerin Lin Jaldati lebte, gedachten Eichwalder dem Ende des Weltkrieges und der Gewaltherrschaft der Nazi-Diktatur. (Foto Hans Wegener)

Am späten Freitagnachmittag treffen sich auf der ruhigen, kaum befahrenen Puschkinallee etwa 25 Menschen, um daran zu erinnern, dass vor 70 Jahren in der Region die Waffen endlich schwiegen. Denn am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht bedingungslos in Karlshorst – keine 15 Kilometer Luftlinie von hier. Die Menschen stehen vor einem weißen, unscheinbaren Einfamilienhaus mit einem kleinen gepflegten Vorgarten, in dem neben roten Blumen in Reihen auch kleine Sträucher wachsen. In diesem Haus wohnte Lin Jaldati, eine jüdische Sängerin und Tänzerin, die den Holocaust in mehreren Konzentrationslagern überlebte. Später in der DDR war sie sehr angesehen. Um an sie zu erinnern, enthüllten Konfirmanden kürzlich eine Gedenktafel an dem Zaun. Die evangelische Pfarrerin Christine Leu erklärte den Anlass für das Treffen und zitiert das jiddische Lied „Es brennt“. Dieses Lied stellt den Bezug zu Lin Jaldati her, da sie es sehr oft in den Konzentrationslagern sang. Danach stecken Bürger mitgebrachte Blumen, meist Rosen, zwischen die Zaunleisten und zünden Kerzen davor an. An jeder Gedenkstätte der Route begleiten zwei Jugendliche der katholischen Kirchengemeinde mit Geige und Gitarre das Gedenken musikalisch. Bei der Gedenkprozession halten die Menschen an insgesamt sechs Stätten inne, legen Blumen ab und entzünden Kerzen.

Ein eher unplanmäßiger Halt ist an der katholischen Kirche. Manche Leute schauen etwas verwundert, da dieser Ort des Gedenkens nicht auf den verteilten Plänen genannt wird. Bei strahlendem Sonnenschein trägt Katharina Bayer Auszüge aus Predigten von Bischof Clemens August Graf von Galen vor. Dieser sprach sich offen gegen Euthanasie, also die Tötung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ aus. Weiterhin hielt er im Juni und August 1941 drei kritische Predigten. Seine Predigten wurden unter der Hand unter den Menschen weitergereicht und erreichten auch Soldaten der Wehrmacht.

Die Gedenktafel im Rathaus erinnert an jüdische Menschen die aus Eichwalde während der Nazi-Diktatur in verschiedene Konzentrationslager deportiert wurden. (Foto: Hans Wegener)
Die Gedenktafel im Rathaus erinnert an jüdische Menschen die aus Eichwalde während der Nazi-Diktatur in verschiedene Konzentrationslager deportiert wurden. (Foto: Hans Wegener)

Im Rathaus sind im Eingangsbereich rechts und links Gedenktafeln in die Wand eingelassen. Sie erinnern an die mindestens sechs jüdischen Familien, die während der Nazi-Diktatur aus Eichwalde nach Riga und Auschwitz deportiert und dort umgebracht wurden. Die Betroffenheit ist vielen Bürgern anzusehen.

Der Krieg forderte auch zivile Opfer in Eichwalde

In der Bombennacht Heiligabend 1943 kamen in Eichwalde 29 Menschen ums leben. (Foto: Hans Wegener)
In der Bombennacht Heiligabend 1943 kamen in Eichwalde 29 Menschen ums leben. (Foto: Hans Wegener)

Eine weitere Station des Gedenkmarsches ist die Tautsiedlung in der Waldstraße. Noch heute sind dort deutlich die Spuren des Krieges zu sehen, wenngleich Eichwalde insgesamt wenig vom Krieg direkt betroffen war. 30 Brand- und Sprengbomben warfen die Alliierten Heiligabend 1943 über der Siedlung ab. Dabei wurde ein komplettes Wohnhaus weggesprengt. Pfarrerin Leu zeigt ein Bild vom Ehrenmal auf dem Eichwalder Friedhof, auf dem die Namen der 29 Opfer des Bombenabwurfs stehen. Bei dieser Tragödie starben auch einige Kinder. Die schwermütige Musik unterstreicht die traurige Stimmung an diesem Ort, da der Krieg hier viele zivile Opfer forderte. Hinzu kommen die mehr als 80 aus Eichwalde stammende Soldaten, die im zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen.

Ein Professor versteckte eine jüdische Familie

Stubenrauchstraße 29. Das markante Gebäude am Platz der Republik wurde nach den Plänen des Architekten Richard Iwan erbaut. Im Zeitraum von 1943 bis 1945 versteckte der Physikprofessor Karl Marguerre die jüdische Familie Hopp in seinem Keller. Diese gehörten zu den 14 Juden in Eichwalde die den Holocaust überlebten, kamen aber nicht selbst aus Eichwalde. Hier liest Elisabeth Ruff von der katholischen Gemeinde einen Bericht über Professor Marguerre vor, der von Edith Günther, der heutigen Bewohnerin des Hauses verfasst wurde. Sie stand zwar in keiner direkten Beziehung zu dem Professor, interessierte sich jedoch für die Geschichte ihres Hauses und forschte nach. „Hallelujah“ von Leonhard Cohen, gsungen und gespielt von den jungen Musikern der katholischen Gemeide, verbreitet eine ruhige, friedliche Atmosphäre.

Das Erinnern ist für junge Generationen wichtig

Vor der Evangelischen Kirche stehen schon Stühle für die Teilnehmer bereit. Da auch Besucher aus den Nachbargemeinden kommen, müssen jedoch weitere Bänke aufgestellt werden. Denn auch in Zeuthen und Schmöckwitz gedenken die Menschen an verschiedenen Orten und kommen zur gemeinsamen Andacht nach Eichwalde. Neben Bürgermeister Bernd Speer ist auch die Zeuthener Bürgermeisterin Beate Burgschweiger dabei.

Pfarrerin Leu spricht von der Schuld, die wir zwar nicht selbst auf uns geladen haben, aber immer noch auf unserem Gewissen lastet. Bürgermeister Speer beteuert: Solange wir uns an die Zeit der Diktatur erinnern sind wir uns  auch der Notwendigkeit bewusst, eine weitere Diktatur zu verhindern. Er betont auch, dass diese Erkenntnis und das Erinnern an diese Zeit besonders für die jüngeren Generationen wichtig sei. Betroffenheit ist hierbei von den Gesichtern der einzelnen Besuchern abzulesen. Unter der Leitung von Kirchenmusiker Peter Aumeier werden einige Lieder gesungen, unter anderem „Dona Nobis Pacem“, was soviel bedeutet wie „Gib uns Frieden“. Abschließend entzünden die Menschen Kerzen, und stellen sie rund um ein Holzkreuz, welches auf der Treppe zum Kirchenportal liegt. Währenddessen verteilen Mitgliedern der katholischen Kirchengemeinde St. Antonius Karten mit der Aufschrift „Der Friede sei mit euch“. Allmählich werden Bänke und Stühle weggeräumt. Schlussendlich bleiben nur noch das Holzkreuz und die Kerzen in der friedlichen Atmosphäre zurück.